Schloss Wartensee ist baulich von seinen Eigentümern und deren familiären und gesellschaftlichen Beziehungen stark geprägt. Im Besonderen trifft dies auf die Familien Blarer von Wartensee zu, die als Schlosseigner von 1377 bis 1719 die Burg zum dreifachen Wohnsitz ausbauten, sowie den englischen Komponisten Robert Lucas Pearsall de Willsbridge, der von 1843 bis 1853 die überalterten Gebäulichkeiten zum heutigen, repräsentativen Schloss neugotischer Erscheinung umgestaltete.
1264 wurde erstmals der äbtische Statthalter Ritter Heinrich von Wartensee urkundlich erwähnt. Da der westliche Turm zu jener Zeit bereits seit 20 Jahren stand, ist zu vermuten, dass Heinrich ihn baute und darin wohnte. Sein zweigeteiltes Wappen zeigt oben einen halben Löwen, unten zwei blaue Balken auf silbernem Grund. 1288 bewirtschafteten Vogt Burkhard und Konrad von Wartensee (zwei Brüder oder Vater und Sohn) die Güter gemeinsam. 1372 erlosch mit dem Tode Konrads die männliche Linie dieser Ministerialen-Familie von Wartensee. 1377 erfolgte die Teilung der Güter von Wartensee an zwei Erbtöchter, die beide je einen der Gebrüder Walter und Diethelm Blarer aus St. Gallen heirateten. Walter und Klara wurden die Stammeltern der Familie Blarer von Wartensee, in deren Besitze die Schlossgüter bis 1791 blieben.
Die Familie Blarer von Wartensee
Die Blarer, eines der ältesten Bürgergeschlechter von St. Gallen, erarbeiteten sich aus dem Leinwandhandel eine gute wirtschaftliche Grundlage und übten bereits im 13. Jahrhundert das Amt eines äbtischen Ammanns aus. So gelang einzelnen Familienzweigen der Aufstieg in den Ministerial- und Adelsstand. Ihr Familienname entstammt der Tätigkeit des „Ausrufens, Verkündens“ – was wir in der Ostschweiz heute noch mit „blären“ und auch „plären“ bezeichnen. In ihrem Wappen führten und führen die Blarer deshalb einen roten, schreienden Hahn auf silbernem Grund. Als Stammvater gilt Ulrich Blarer, der 1225 als Mitstifter des Heilig-Geist-Spital in St. Gallen gründete. 1313 übersiedelte mit Eglolf Blarer ein Zweig der Familie von St. Gallen nach Konstanz, wo sie ebenfalls zu Vermögen und Ansehen gelangten. Schon einige Jahre danach bekleidete Eglolf dort als erster von fünf Vertretern seiner Familie das hohe Amt des Bürgermeisters. Ein Enkel Eglolfs gilt als Erbauer des Konstanzer Münsters. Durch die Ehe mit Klara von Wartensee im Jahr 1377 wurde Walther Blarer neuer Besitzer von Wartensee und nannte sich fortan „von Wartensee“. 1399 erbten die Brüder Bernhard und Wilhelm Blarer die Burg Wartensee, wobei unterschieden wird in die „neue“ Burg und in die „mittlere“ Burg. Während den Appenzeller Kriegen erwarben die Blarer von Wartensee 1405 das Appenzeller Landrecht, wodurch ihre Burg von den Brandschatzungen der Appenzeller verschont blieb.
Diethelm und Wilhelm, Nachkommen von Wilhelm Blarer von Wartensee, erbten 1423 das Vermächtnis von Bernhard und 1440 jenes von Diethelm (ihres Grossvaters) und wurden damit zwei der reichsten Edelleute der Alten Landschaft. Die Herrschaft Wartensee umfasst den ganzen östlichen Rorschacherberg vom See bis zum Kamm von Landegg, zudem sind zahlreiche Höfe im Rheintal und im Fürstenland nach Schloss Wartensee zinspflichtig. Hans Jakob von Wartensee, ein Sohn des 1482 verstorbenen Diethelm stiftete 1497 eine Kaplanei mit Pfrunddotation, wobei der Kaplan wöchentlich in der Schlosskapelle zu Wartensee eine Messe lesen soll. Seit 1502 ist Hans Jakob alleiniger Besitzer von Schloss Wartensee. Nach seinem Tode stiftete der Sohn Diethelm, der spätere Fürstabt von St. Gallen in die Kapelle auf Schloss Wartensee einen prächtigen Frührenaissance-Altar. Dieser Altar gelangte 1885 zu einem Lausanner Antiquar und 1890 ins neu eröffnete schweizerische Landesmuseum in Zürich. Nach dem Tode von Apollonia von Sirgenstein, der Mutter von Diethelm, wurde die Herrschaft 1557 aufgeteilt. Die Schwester Kunigunde wurde ausbezahlt, während Christoph, Jakob und Wilhelm die Gebäude auf Wartensee erbten. Der Vierte, Caspar Blarer von Wartensee und seine Frau Sigonia von Diesbach, erhielten den seeseitigen Teil der Liegenschaft bei Staad, den halben Hof Egg, den Mühlbühl mit dem Weiher, die Blumenwiese und den Anteil an den Waldungen. Sie erbauten sich dort 1557 das Schloss Wartegg und begründeten den Familienzweig der Blarer von Wartensee zu Wartegg, aus dem einige bedeutende kirchliche Würdenträger stammten.
Kurz nach der Übernahme durch die Erben, wurden die Innenräume von Schloss Wartensee modernisiert, wie die von Zoller 1714 beschriebenen Wappenschilder und Jahreszahlen nachweisen. Im 15. und 16. Jahrhundert galten die Blarer wohl als einflussreichstes Geschlecht im Gebiet der Abtei St. Gallen und waren in verschiedene Zweige aufgeteilt.
Die Familie Blarer von Wartensee zu Aesch Mit der Berufung von Jakob Christoph Blarer von Wartensee, einem Neffen des Fürstabtes Diethelm, zum Fürstbischof von Basel (1575-1608), übersiedelte auch dessen Bruder Wolf Dietrich mit seiner Familie in die Nordwestschweiz und begründete dort den Familienzweig der Blarer von Wartensee zu Aesch. Wolf Dietrich amtete erst als Vogt zu Birseck und ab 1583 als Obervogt der Herrschaft Pfeffingen. Sein älterer Sohn Wilhelm, gestorben 1649, ergriff eine geistliche Laufbahn mit Studien an der Universität Freiburg im Breisgau und wurde 1602 Domherr zu Basel, 1607 Kustor und 1624 Dompropst. Von Töchtern der Basler Blarer entstammten drei weitere Basler Fürstbischöfe. So Wilhelm Rink von Baldenstein, Sohn der Anastasia Blarer von Wartensee, einer Schwester von Bischof Jakob Christoph, sowie Jakob Sigismund von Reinach-Obersteinbrunn und Joseph Sigismund von Roggenbach. Nachfolger dieser Basler Zweige der Blarer von Wartensee leben noch heute.
Robert Lucas Pearsall
Der heute beinahe vergessene Komponist Baron Robert Lucas Pearsall de Willsbridge gestaltete um 1850 die mittelalterliche Burganlage zum heutigen Schloss neugotischer Prägung um. Geboren 1795 in Bristol, verliess Pearsall im Alter von 30 Jahren seine englische Heimat und zog mit seiner Frau Eliza Hobday, seinem Sohn Robert Lucas und den beiden Töchtern Elisabeth Still und Philippa Swinnerton (1824-1907) nach Deutschland. Er gab seinen Beruf als Anwalt auf, nahm Kompositionsunterricht, beschäftigte sich mit Geschichte, Genealogie, Heraldik und der Malerei. Seine früheste erhalten gebliebene Komposition ist mit 1825 datiert. In den folgenden Jahren unternahm er viele grosse Reisen in die europäischen Musikzentren, komponierte, publizierte auch literarische Übersetzungen und hielt Vorträge. Als Komponist war er zu seiner Zeit offensichtlich anerkannt. 1843 kaufte er das Schloss Wartensee. Durch neue Kontakte erhielt er von der Kirche St. Gallen Kompositionsaufträge und arbeitete für das neue St. Galler Kirchengesangbuch. Sein Beitrag bestand vor allem in Harmonisierungen von Gesängen und Bearbeitungen. Auch Eigenkompositionen finden sich darunter, so das bis heute in der katholischen Schweiz gesungene Lied „Geist der Wahrheit, Geist der Liebe“. Umfangreicher noch ist sein Beitrag zum Orgelbegleitbuch. Ab 1850/51 wurde es ruhiger um den Baron.
Nach kurzem Aufenthalt in St. Gallen kehrte Robert Pearsall 1854 nach einem Schlaganfall ins Schloss Wartensee zurück, wo ihn seine Frau, sein Sohn und die jüngere Tochter bis zum Tode 1856 pflegten. Den Verstorbenen legte man in seiner Schlosskapelle im Erdgeschoss des Osttraktes zu Grabe. 1957 wurde sein einbalsamierter wohlerhaltener Leichnam exhumiert und bei der Kapelle Wilen-Wartegg wieder beigesetzt; eine Gedenktafel erinnert dort an Robert L. Pearsall und seine Verdienste. Die Grabplatte auf Wartensee stand danach an der Aussenwand des Osttraktes, der Verwitterung ausgesetzt, bis sie 1972 im neu erstellten Zwischentrakt einen geschützten Standplatz erhielt. Das musikalische und schriftliche Schaffen hinterliess der Komponist seiner Tochter Philippa Swinnerton, die es 1862 der Bibliothek des Stiftes Einsiedeln schenkte. Der auf Schloss Wartensee weilende Sohn Robert Lucas vermochte das kostspielig umgebaute Schloss nicht weiter zu halten. Er ging bankrott und musste die Liegenschaft 1858 verkaufen. Da er ohne männliche Nachkommen blieb, erlosch mit dessen Tod 1865 das Geschlecht Pearsall of Willsbridge.
Zusammenfassung
1243 baute sich Ritter Heinrich von Wartensee einen Wohnturm. Im 17. Jahrhundert erstellte die St. Galler Familie Blarer von Wartensee dazu einen dreifachen Wohnsitz. Der Sohn des englischen Komponisten Robert Lucas Pearsall de Willsbridge verpasste dem Schloss im 18. Jahrhundert die heutige neugotische Prägung. 1984 ging Schloss Wartensee in den Besitz der Evangelischreformierten Kirche des Kantons St. Gallen über, welche es als Tagungs- und Begegnungszentrum bis Ende 2011 betrieben hat. Der neue Besitzer Urs Räbsamen renovierte 2012 die Liegenschaft anschliessend. Am 1. Mai 2013 wurde der Hotelbetrieb und das Restaurant wiedereröffnet.