20/12/2024
Neue Besprechung: "Ewiges Eis soll in eure Lenden fahren!" – Alexander Peer liest Rüdiger Görners Englische Elegien
"Brückenbauer im Akkord
Der Klappentext verrät allerdings nicht, wann genau diese Texte entstanden sind. Was sich vermuten lässt, ist ein Zusammenhang mit dem sich entweder abzeichnenden oder dem bereits vollzogenen Brexit. Görner hat sich über Jahrzehnte um eine enge Beziehung von England und den deutschsprachigen Ländern bemüht. Das belegen etwa die Gründung des Ingeborg-Bachmann-Zentrums für Österreichische Literatur 2002 oder des Zentrums für Britisch-Deutsche Kulturbeziehungen 2005 an der Queen-Mary-Universität in London. Bei den europäischen Toleranzgesprächen in Fresach 2019 hatte ich Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. Eine seiner damals vorgebrachten Begründungen für den Brexit liegt im Selbstverständnis Britanniens, das sich immer noch als überlegen versteht und für den Kontinent wenig Wertschätzung hegt. „Das einst so beliebte Understatement der Briten hat sich in eine Sprache des Trotzes und des verletzten Stolzes verwandelt“, diagnostizierte der genau beobachtende Kenner. Es ist ein Paradoxon, dass alle Welt Englisch spricht, sich England aber von aller (europäischen) Welt abwendet und meint, allein viel schlauer zu sein. Darüber kann man zurecht klagen.
Der Band beginnt genau mit diesem Befund:
Wellenumrittenes Land, schaum- und schattengekrönt;
verinselter denn je in der Zeit.
Diese allzu vertraute Metapher der Insel steigert sich. Durch diese wehmütigen Befunde zieht sich eine Insel in Isolation, man mag das neologistisch eine Insolation nennen. Dabei ist der Commonwealth und damit das britische Empire präsent, doch gerade das Überschwappen des Globalen ins traditionell Nationale geistert bedrohlich durch die Nächte der Autochthonen. So heißt es in der zweiten Elegie:
Alptraum auf Englisch: kolonisiert zu werden
von den Kolonisierten.
Im Morgenrot erbleichen,
mit den Perücken der Richter das Urteil kaschieren
und den Haarausfall."
Besprechung: "Ewiges Eis soll in eure Lenden fahren!" - Alexander Peer liest Rüdiger Görners "Englische Elegien"