Schackstock

Ein tief- (oder hoch-?) religiöses Opferfest. Am Eingang gibt man seine Zeit, Gesundheit, Logik und Bequemlichkeit ab und opfert das alles Dionysos. Der stattet einen dann mit Liebe, Lust, Leidenschaft und Trinklaune aus. Was fehlt, sind die behaglichen Seiten des Lebens: Skifahren, Amerika, ein kleines Hotel mit Sauna, die Universität, ein Federbett und Frühstück mit Marmelade und einer zerlegten

halben Grapefruit. Also das beruhigende Gefühl, dass alles in Ordnung ist. Ansonsten könnten wir alle miteinander in aller Ruhe nach Paris fahren und unsere Bestattung auf dem tollsten Friedhof der Welt planen. Nee, nee, nee, da schon lieber ein paar Tage das Scheitern der Zivilisation feiern. Eine Zivilisation, für die Glück eine schwere Affektstörung mit kognitiven Anomalien ist. Das macht mir Spaß!

„Gebt das starke Getränk den Verzweifelnden und den Wein den Verbitternden. Er trinke, dann vergisst er seine Armut und denkt nicht mehr seiner Mühsal“, wie der alte Salomo sagen würde. Das klingt zwar eher nach einer Art Beziehungskrisenratschlag, meint aber eigentlich alle. Ein Mensch kann nicht ohne Orgien existieren. Man hat also die Wahl: ein kleiner Krieg, Gruppensex wie die Einkaufswagen vor’m Aldi, oder Schackstock. Als mitteleuropäischer Kopfmensch, halbvergeistigtes Wesen, quasi nicht zu ende gedachtes Modell des Nietzscheschen Übermenschen haben wir es allerdings nicht einfach. Für viele von uns ist es leider recht schwierig, so richtig dolle zu feiern, aber beim Schackstock kann man prima üben. Sogar Suizid-Susi hat sich letztes Jahr einigermaßen gut amüsiert. Wenn man will, kann man das Schackstock auch als dionysche Version von Ablasshandel sehen: Man kauft sich frei (kost‘ nich viel) von der Sünde seines runterziehenden Alltags und bekommt dafür einen stinkenden, dreckigen, abscheulichen, aber reinigenden und heilenden Sud aus obszönen Freiheitsgefühlen. Is doch toll, oder?