Die Stille ist ohrenbetäubend. Hier oben am Harlachberg bei Bodenmais hört man hier und da einen Vogel zwitschern oder den Wind durch den jungen Wald streichen.
Ansonsten – nichts.
Diese Ruhe, sagt Anneliese Kraus, hat sie gepackt; damals, 2007, als sie zum ersten Mal hier oben ist. Von da an ist der Harlachberg ihr Leben.
Die 53-Jährige führt seit 2008 eine Gutsalm auf dem 970 Meter hohen Berg im Kreis Regen. Gutsalm, weil die Summe der Gebäude in keine Kategorie passt. Sie ist ein Mix aus Hotel, Ferienwohnung, Restaurant und grünem Naherholungsdorf.
„Das hier oben ist eine Oase. Ein Ort zur Entschleunigung. Ich wollte es anderen Menschen zugänglich machen“, sagt sie in ihrem Büro, das früher ein Schweinestall im ehemaligen Bauernhaus war.
Kraus erzählt gern über die Anfänge der Gutsalm: wie aus ihr, der Kindergärtnerin aus dem benachbarten Bärmannsried, die Chefin einer Gutsalm wurde, wie die heimeligen Wiesenhäuschen in Holzständerbauweise entstanden und was es mit der schmucken Jugendstilvilla am Rande der Gutsalm auf sich hat.
Anneliese Kraus nimmt sich Zeit für ihre Gäste. Jeden Einzelnen begrüßt sie mit einem warmen „Griaß di“ – und die fühlen sich scheinbar wohl. „2018 sind wir samstags mit Hochzeiten ausgebucht. Freitags gibt es nur noch wenige Resttermine“, sagt sie. Dazu kommen Tagungen, für die Firmen und Behörden die komplette Villa mieten, und Urlaubsgäste.
Doch nicht nur Touristen sollen etwas von der Gutsalm haben. Kraus lockt auch Wanderer und Einheimische zum Essen auf den Harlachberg. Es gibt Steak- und Mehlspeisentage sowie traditionelles Essen aus dem Bayerischen Wald, wie das Kartoffelgericht Eapfesterz.
Jeden Mittwoch backt Kraus mit Gästen Brot.
Doch trotz all der Feiern und der vielen Gäste – richtig laut wird es auf der Gutsalm nie. Bands spielen bei Hochzeiten nur im Saal des alten Heustadels, selbst Silvester gibt es kein Feuerwerk und keine Party. „Nur einen Kessel Gulaschsuppe auf dem Dreibein.
Ich will im Einklang mit den Tieren und dem Berg leben. Im Endeffekt sind wir ja seine Gäste“, betont Anneliese Kraus.
Anfang 2007, kurz bevor sie zum ersten Mal auf den Harlachberg kommt, ist es hier oben alles andere als ruhig. Am 18. und 19. Januar weht Orkan Kyrill über Europa und legt am Harlachberg fast den kompletten Waldbestand um. Heinrich Kraus, Annelieses Schwiegervater, hatte den Hunderte Hektar großen Besitz kurz zuvor für rund 1,3 Millionen Euro gekauft. Viele der Bäume liegen danach wie Streichhölzer übereinander. Heinrich Kraus lässt das Brennholz aufarbeiten und pflanzt neu an. Den neuen Wald wachsen sieht er aber nicht: 2008 stirbt er überraschend und vererbt den Besitz am Harlachberg an Anneliese und Reinhard Kraus. „Dann saßen wir da und haben überlegt, was wir jetzt damit machen“, erklärt Anneliese Kraus. Mit einem Architekten erarbeiten sie ein Konzept, das die bestehenden Gebäude, deren Geschichte bis ins Jahr 1552 zurückgeht, einbindet und sanften Tourismus ermöglicht.
Sie renovieren das eingefallene Bauernhaus, den historischen Brotbackofen, die Kapelle – und die elegante Jugendstilvilla, in der lange Zeit die Künstlerin Ida Segl gelebt hatte. Anneliese Kraus findet viele Fotografien und Gemälde von ihr und baut sie in den Umbau ein. Ebenso wie die Totenbretter im Eingangsbereich der Kapelle – laut den Recherchen des Heimatforschers Professor Reinhard Haller die ältesten im Bayerischen Wald.
Zusätzlich baut das Ehepaar Kraus ein Atelierhaus am Naturteich, vier gemütliche Wiesenschlafhäuschen und ein Tagungs- und Seminarhaus – alles in Holzständerbauweise. „Ohne Fundamente. Sie können einfach weggehoben werden und hinterlassen keine Spuren“, betont Anneliese Kraus. Rund drei Millionen Euro kostet der Umbau. Dafür verkauft sie mit ihrem Mann Reinhard weite Teile des Harlachbergs. Etwa 30 Hektar, darunter der Gipfel, behalten sie. 2012 ist der Umbau fertig.
Seither hat Anneliese Kraus gut zu tun. 2017 macht sie mit ihrem Mann fünf Tage Urlaub. In Kroatien, am Meer. Ansonsten arbeitet sie mit ihren zwölf festangestellten Mitarbeitern auf der Alm. Bis zu 25 Menschen helfen bei Veranstaltungen mit. Darunter ihre 22-jährige Tochter Maria, die den Betrieb vielleicht eines Tages übernimmt.
„Uhr hab ich keine“! Doch so schnell wird sich diese Frage wohl nicht stellen. „Ich plane schon, meinen Lebensabend hier oben zu verbringen“, sagt die Geschäftsführerin.
Ihr Hauptwohnsitz ist derzeit noch in Bärmannsried, wo ihr Mann und ihr Sohn ein Sägewerk betreiben. Auf der Gutsalm hat sie nur ein Zimmer, in dem sie schläft, wenn es – wie so oft – später wird mit der Arbeit. Doch Kraus hat damit kein Problem. „Ich liebe meine Arbeit. Und Uhr hab ich keine, auf die ich schauen muss. Wenn ich fertig bin und es ist schon finster, bleib ich halt hier.“
Mit Architekturstudenten der Uni Würzburg erarbeitet sie derzeit ein Konzept für ein eigenes Saunahäuschen. Auch ein paar weitere Wiesenhäuschen sind schon genehmigt.
„Ansonsten soll der Harlachberg auf keinen Fall verbaut werden.
Er soll ein gemütlicher Ort der Ruhe bleiben“, sagt Kraus.