05/10/2024
John Cranko / Der Film
Empfehlung: Unbedingt ansehen!
Ein superlanges Wochenende mit bestem Wetter – ideal, um entspannt mit Freunden Geburtstag zu feiern, Texte zu schreiben, Musik zu machen, die bevorstehenden Veranstaltungen vorzubereiten und ins Kino zu gehen. Ich war besonders berührt von dem neuen Film von Joachim A. Lang über John Cranko, der seit Donnerstag in den Kinos läuft.
Mein erster Kontakt mit einem Werk John Crankos, dessen Leben und Tod eng mit dem „Stuttgarter Ballettwunder“ und der Stadt Stuttgart verbunden sind, fand statt, als ich als Schüler viel Zeit im Opernhaus als Statist verbracht habe. Dabei war meine erste „Vorstellung“ ausgerechnet Schwanensee, in der ich – nicht tanzend sondern als Beiwerk – ein paar Mal mit wichtiger Miene auf einer Balustrade hin und her laufen musste. Aber ich war auf der Bühne und damit Teil einer Theaterfamilie, die mich seitdem nicht wirklich losgelassen hat. Später hatte ich das Glück, als Musiker immer wieder mit Sängerinnen und Sängern in den Räumen des Hauses proben zu dürfen.
Eine schöne Wendung nahm mein Weg, als ich durch mein Amt als Stadtrat in Stuttgart viele Jahre im Verwaltungsrat der Staatstheater tätig sein durfte und somit weiterhin mit diesem großartigen Haus verbunden war. In meinem Format „NAH DRAN“ war es mir in den letzten Jahren selbstverständlich, Choreographen wie Marco Goecke, Demis Volpi und den jetzigen Intendanten Tamas Detrich als Gäste zu haben. Es ist wunderbar zu sehen, wie das Erbe John Crankos beim Stuttgarter Ballett bewahrt und gleichzeitig neue Entwicklungen im Tanz nicht nur berücksichtigt sondern weiter nach vorne entwickelt werden. Ein ganz besonderes Erlebnis war es für mich, das NAH-DRAN- Gespräch mit Tamas Detrich in der neuen John Cranko Schule vor ausverkauftem Haus führen zu dürfen.
Der Film John Cranko hat mich auf eine besondere Weise berührt. Das „Stuttgarter Ballettwunder“ steht für die außergewöhnliche Leistung und das herausragende Lebenswerk des Choreographen John Cranko und für die Leitung einer Ballettkompanie sowie für die damalige Intendanz von Walter Erich Schäfer, der in dieser Zeit das Dreispartenhaus führte. Diese Ära war auch von der Oper, die unter Intendant Wolfgang Windgassen als „Winter-Bayreuth“ galt, und von der Regiearbeit Claus Peymanns, die in den deutschsprachigen Feuilletons viel Beachtung fand, geprägt.
In einer Zeit, in der der rückständige M**f der Vergangenheit unter Ministerpräsidenten wie Filbinger über das Land wehte, war Stuttgart bereits unter Oberbürgermeister Manfred Rommel liberaler geprägt. Joachim A. Lang gelingt es, ein Porträt des Choreographen John Cranko zu zeichnen, das sowohl sein künstlerisches Wirken als auch seine persönliche Geschichte nah und respektvoll zeigt, ohne eine falsche Distanzlosigkeit zu schaffen. Sam Riley verleiht der Rolle eine beeindruckende Authentizität. Die Besetzung der anderen Rollen durch Mitglieder des Stuttgarter Balletts war für mich ein besonderes Geschenk. Damit ist es auch als Portrait einer Seite der Landeshauptstadt Stuttgart in dieser Zeit ein wichtiges und künstlerisch bedeutendes Zeitdokument.
Der dritte Satz des 2. Klavierkonzerts von Brahms, der das M. der Initialen R.B.M.E. trägt, zieht sich wie ein roter Faden durch den Film. Größer geht es kaum noch.